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Sklaven des Wachstums - die Geschichte einer Befreiung

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Erschienen am 13.02.2014, Auflage: 1/2014
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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783593421483
Sprache: Deutsch
Umfang: 348 S., 3.94 MB
E-Book
Format: EPUB
DRM: Digitales Wasserzeichen

Beschreibung

Mit diesem Buch erhalten Sie das E-Book inklusive!Im 20. Jahrhundert hat die Menschheit auf allen Ebenen ein Wachstum ohnegleichen erlebt. Doch obwohl die Ressourcen knapp werden und die Ökosysteme unter der Last von über sieben Milliarden Menschen mit immer höheren Ansprüchen ächzen, bauen unsere gesamten Wirtschafts-, Finanz- und Sozialsysteme nach wie vor auf endloses Wachstum. "Wir haben uns vom Wachstum regelrecht versklaven lassen", sagt der renommierte Demografieexperte Reiner Klingholz. Dennoch schleicht sich das Ende des "Mehr-ist-mehr" durch die Hintertür heran: Schon lebt die Hälfte aller Menschen in Ländern, deren Bevölkerung mittelfristig nicht mehr wachsen wird. Längerfristig steht sogar ein deutlicher Rückgang der Weltbevölkerung an. Zusammen mit der Alterung der Gesellschaften sinken auch die Aussichten auf wirtschaftliche Höhenflüge. Planlos treiben wir in das Zeitalter des Postwachstums und haben keinerlei Konzepte für ein Wohlergehen der Gesellschaften unter diesen ungewohnten Bedingungen. "Wir haben nur eine Zukunft", so Klingholz, "wenn wir lernen, das Schrumpfen zu lieben."Ausgezeichnet durch die Deutsche Umweltstiftung als Umweltbuch des Monats April 2014

Autorenportrait

Reiner Klingholz, Chemiker, Molekularbiologe und Leiter des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung, kennt sich mit Dynamik aus. Seit 30 Jahren beobachtet der gefragte Autor komplexe Zusammenhänge in der Gesellschaft und stellt die entscheidenden Fragen für unsere Zukunft.

Leseprobe

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ES LEBT SICH GUT IM OVERSHOOT

Wie Schuldenmachen das Ende des Wachstums hinauszögert

Jeder vernünftig denkende Mensch weiß, dass endloses Wachstum in einer endlichen Welt nicht möglich ist. Dennoch sind Wirtschaft, Finanzwelt, Wohlfahrtsstaat - ist unser ganzes politisches und gesellschaftliches Leben ohne Wachstum bisher nicht vorstellbar. Wir haben uns von einem Wachstum versklaven lassen, das dauerhaft nicht funktionieren kann. Wachstum gilt als Lösung, dabei ist es das Problem: Finanzpolitisch und ökologisch sind wir längst im roten Bereich. Aber die wenigsten stört dieses Leben auf Pump. Es funktioniert ja blendend. Vorerst jedenfalls.

Möglicherweise lösen die Wachstumsszenarien aus dem letzten Kapitel - die Gigatonnen verbrannter Kohle, die Megatonnen von Fleisch oder die Billionen von Flugkilometern - bei Ihnen Angst aus, oder zumindest Unbehagen. Vielleicht beschleicht Sie das Gefühl, das ganze Wachstum sei doch ein wenig übertrieben. Schließlich räumt sogar die erwähnte HSBC-Studie über die aufsteigende Konsumentenklasse der aufstrebenden Nationen im Jahr 2050 ein, dass "energetische, politische und Umweltfaktoren" all die hochfliegenden Prognosen "entgleisen" lassen könnten. Und die Internationale Energieagentur klagt angesichts der fortdauernden Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen in ihrem Jahresbericht von 2012 über "anhaltende Symptome eines nicht nachhaltigen Energiesystems".

Aber mit dieser Angst wären Sie in der Minderheit. Die Mehrheit im Lande, in der Wirtschaft, in der Politik und auf der ganzen Welt hält Wirtschaftswachstum für gut und notwendig. Es ist sogar rechtlich verankert: So verpflichtet Paragraf 1 des "Gesetzes zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft" Bund und Länder, ihre wirtschafts- und finanzpolitischen Maßnahmen so zu treffen, dass diese "zur Stabilität des Preisniveaus, zu einem hohen Beschäftigungsstand und außenwirtschaftlichem Gleichgewicht bei stetigem und angemessenen Wirtschaftswachstum beitragen".

Sämtliche Klimagipfel sind bisher daran gescheitert, dass die meisten Länder nicht bereit waren, von ihrem Wachstum Abstriche zugunsten des Klimaschutzes zu machen. Es gibt so etwas wie einen Common Sense darüber, dass Wachstum eine Konstante unserer Gesellschaften ist. Länder, die sich dem kapitalistischen Wachstumsprinzip verweigern (in Wirklichkeit aber trotzdem gerne Wachstum erleben würden), Nordkorea und Kuba zum Beispiel, haben eine sehr überschaubare Fangemeinde.

Praktisch alle wirtschaftswissenschaftlichen Denkschulen setzen Wachstum für das Funktionieren von Volkswirtschaften voraus, Neoklassiker wie Keynesianer, Monetaristen wie Marxisten. Wer Wachstum infrage stellt, wird von den klassischen Ökonomen angeschaut, als käme er geradewegs von den Zeugen Jehovas. Bei den Zweiflern handelt es sich beispielsweise um Anhänger der Ökologischen Ökonomie, die eine optimale Größe von Volkswirtschaften nach Kriterien der Nachhaltigkeit definieren. Oder um Verfechter der zinskritischen Freiwirtschaftslehre, die in dem Prinzip von Zins und Zinseszins die Quelle allen Übels sehen.

Auch in der deutschen Parteienlandschaft herrscht in diesem Punkt eine bemerkenswerte Einigkeit: "Wirtschaftswachstum ist auch weiterhin ein wichtiges Instrument, um unseren Wohlstand zu erhalten", sagt Georg Nüßlein, der Obmann der CDU/CSU-Bundestagsfraktion in der Enquete-Kommission "Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität". "Europa braucht Wachstum, kein Spardiktat", erklärt der SPD-Mann Peer Steinbrück im Bundestag. Die Grünen hätten das Wachstum zwar gerne etwas grüner, halten es aber genau deshalb für notwendig. Die Linke wünscht sich "höhere Löhne für höheres Wachstum", also mehr Geld in den Händen der Werktätigen, auf dass sie es gleich wieder ausgeben.

Und ausgerechnet die Liberalen, die bei der jüngsten Bundestagswahl die größte Schrumpferfahrung sammeln mussten, haben als einzige Partei ihre Wahrnehmung komplett auf das Wirtschaftswachstum verengt. Einer FDP-Kampagne zufolge ist Wachstum sowohl "Europa", "Frühling", "gesund" und "macht das Morgen überhaupt erst möglich". Bei so viel Konsens ist es kein Wunder, dass wir deutlich mehr Angst davor haben, es könnte mit dem Wachstum zu Ende gehen, als davor, dass es zu viel des Guten ist.

Fast scheint es, das Wachstum habe mittlerweile den Rang einer Religion erlangt und brauche schon deshalb nicht mehr infrage gestellt zu werden. Bürger unterscheiden sich dabei nicht von Politikern. Das Schöne an Gewohnheiten ist, dass sie uns davor schützen, über Alternativen nachzudenken. Wir sind also längst in einer Schleife der Alternativlosigkeit angekommen. Wir glauben an das ewige Wachstum und die Abhängigkeit vom alles heilenden Markt wie an das Leben nach dem Tod, obwohl es für beide Szenarien nicht die geringsten rationalen Anhaltspunkte gibt.

Über alle Verhältnisse

Das Global Footprint Network, ein Think-Tank für Umweltfragen aus dem kalifornischen Oakland, errechnet regelmäßig jenen Tag des laufenden Kalenderjahres, an dem die Weltgemeinschaft mehr an Gütern und Leistungen der Umwelt verbraucht hat, als diese in einem Jahr nachliefern kann. Der Tag, von dem an wir definitiv über unsere Verhältnisse leben, heißt "Earth Overshoot Day". Im Jahr 1993 fiel der "Welterschöpfungstag" auf den 21. Oktober. Danach hätte eigentlich kein Mensch mehr irgendetwas verbrauchen dürfen. Seither musste dieser Stichtag immer weiter nach vorne verlegt werden. Im Jahr 2003 war es der 22. September, zehn Jahre später bereits der 20. August. Das Absurde an der Sache ist: Es lebt sich gut im Overshoot.

Wir fühlen uns mit dem Wachstum einfach auf der sicheren Seite. Ob wir uns lediglich als Individuum betrachten, ob wir ein Unternehmen führen, eine öffentliche Krankenkasse leiten, ein Bundesland oder eine ganze Nation verantworten, für die Welthandelsorganisation oder einen Wirtschaftsraum wie die EU sprechen: Wir haben prinzipiell drei Wege vor uns, wie die künftige Entwicklung verlaufen kann. Erstens: Wachstum, also mehr Geld, mehr Waren und Konsumfreiheiten. Zweitens: Stillstand, alles bleibt, wie es ist. Und drittens: weniger Geld, weniger Waren oder Konsumfreiheiten.

Auch wenn sich viele Menschen in den entwickelten Staaten Variante drei leisten könnten, wird sie wenige Anhänger finden und wenn, dann höchstens auf der individuellen Ebene. Ich persönlich kenne viele Menschen, die behaupten, sie kämen auch mit 20, 30 Prozent weniger Einkommen klar (in Wirklichkeit tut es aber keiner). Aber welcher Firmenchef, welche Kanzlerin oder welcher EU-Kommissar würde vor seine Leute treten und verkünden: "Ab morgen gibt es von allem weniger - und das ist gut so." Sehr viel wahrscheinlicher sind die gebetsmühlenartigen Rufe nach Arbeitsplätzen, Wohlstand und Wachstum.

Variante zwei ist am schwierigsten zu erreichen. Es ist praktisch unmöglich, ein System bei sich stetig wandelnden Rahmenbedingungen im Gleichgewicht zu halten. Selbst wenn wir uns theoretisch mit dem Status quo zufriedengeben würden, bauen wir praktisch immer einen Sicherheitspuffer ein. Selbst wenn wir uns sagen "eigentlich reicht's", arbeiten wir dennoch in Richtung Wachstum, genau wie wir im Herbst Winterreifen aufziehen, obwohl wir gar nicht wissen, ob die kommenden Monate Schnee und Eis bringen.

Und wenn das Wachstum einmal schwächelt, wie jüngst in der Eurozone, hilft uns die Überzeugung, die Wirtschaft laufe nun mal zyklisch. Das konjunkturelle Auf und Ab der Ökonomie erklären wir uns als Rauschen auf der linearen Kurve, die in Wirklichkeit nur das langfristige, immerwährende Wachstum beschreibt. Eine Rezession ist dann nur die Vorphase für den nächsten Aufschwung! Wir schlafen mit dieser Überzeugung viel besser, als wenn wir uns vorstellten, nach der jetzigen Krise komme die nächste.

Wenn die Wirtschaft vorübergehend nicht mehr wächst, bezeichnen wir das als Nullwachstum. Wenn sie schrumpft, sprechen wir von einem Negativwachstum des Bruttoinlandsproduktes - alles nur, weil die schlechten Nachrichten wenigstens noch nach Wachstum klingen sollen. Wir glauben an eine sehr, sehr kurze Zeit der Menschheitsgeschichte, in der sich Wirtschaft und Gesellschaft in einem fortlaufenden Prozess immer weiter nach oben geschaukelt haben. Wir nennen ihn Fortschritt.

Ballast der Evolution

Sicher hat das Wachstums- und Wohlstandsdenken auch eine archaische Komponente. Denn die vier Millionen Jahre alte Geschichte der Menschen und Vormenschen war eher von Not und Mangel gezeichnet als vom Paradies. Für unsere Vorfahren war mehr immer besser als weniger. Mehr Nachwuchs, wenn er denn überlebte, bedeutete mehr Macht, mehr Sicherheit, mehr Arbeitskräfte. Ein Stück vom Zebra war besser als eine stärkehaltige Wurzel.

Gesteuert werden wir bei diesem Denken von einem Gehirn, das sich über Jahrhunderttausende in Anpassung an genau diese Bedingungen der Entbehrung entwickelt hat. Dabei hat es sich nicht nur von 800 auf 1360 Kubikzentimeter vergrößert, sondern es hat auch besondere anatomische Teile hinzugewonnen, die uns mit Fähigkeiten ausstatten, wie sie sonst in der Natur nicht zu finden sind: Sprachvermögen, Selbsterkenntnis und die Möglichkeit, Gedankengebäude zu konstruieren, Emotionen, Verantwortung und Mitgefühl zu zeigen. Wir können mit der Kraft unserer Neuronen sogar die Zukunft berechnen und die Folgen unseres Handelns beschreiben. Der Philosoph Hans Jonas hat einmal gesagt, der Mensch könne den Wert dessen empfinden, was er im Begriffe sei, zu zerstören. Das hält ihn aber nicht von der Zerstörung ab.

Dieser Zwiespalt zwischen Wissen und Handeln, zwischen Erkenntnis und Verantwortungslosigkeit gehört zu unserem evolutionären Erbe. Schon der große britische Ökonom John Maynard Keynes schrieb, dass sich unsere Entscheidungen, etwas Positives zu tun, nur als Resultat unserer "animalischen Instinkte" begreifen ließen und nicht als Ergebnis "eines quantitativen Nutzens, multipliziert mit der Wahrscheinlichkeit". Und deshalb tun wir uns so schwer, trotz erkennbarem Artensterben und absehbarem Klimawandel die archaisch-egozentrischen Denk- und Verhaltensmuster abzulegen. Auch wenn einzelne Menschen in den reichen Ländern mittlerweile das Wachstumsdenken vorsichtig hinterfragen - im Wesentlichen agieren wir immer noch wie unsere Ahnen aus der Steinzeit. Askese, der freiwillige Verzicht auf Besitz, Nahrungs- und Genussmittel oder auf Sexualität hat es nie zu einer Massenbewegung geschafft. Sie ist ein Minderheitenprogramm für Mönche, Eremiten oder Schamanen.

Kulturen des Verzichts hat es kaum je gegeben und wenn, dann nur in einer Umwelt, die so klein und überschaubar war, dass die Bewohner die Grenzen des Wachstums unmittelbar spüren konnten. Die Bewohner der Yap-Inseln in der Südsee beispielsweise mussten sich in ihrer Vermehrung beschränken, weil ihre Eilande so klein waren. Die Yap sind vor allem wegen ihres Steingelds bekannt, dessen Münzen zum Teil größer als ein Laib Emmentaler waren und so schwer, dass bis zu 20 Mann nötig waren, um sie zu transportieren. Interessanter als die Geldsteine aber waren die Riten und Tabus gegen das Bevölkerungswachstum: Söhne, die von ihren Vätern kein Land erben konnten, wurden zur Not in ein Boot gesetzt und auf den Ozean geschickt. Das Gleiche geschah mit Töchtern, die nicht verheiratet werden konnten. Erwachsene Frauen brachten jungen Männern Sexualpraktiken bei, die nicht zu einer Empfängnis führten.

In der Ehe schließlich war Geschlechtsverkehr aus vielerlei vorgeschobenen Gründen untersagt: etwa wenn der Mann gerade ein Haus oder ein Boot baute oder wenn er sich auf den Fischfang vorbereitete. Waren Kinder da, wurde ihre Zahl indirekt dadurch begrenzt, dass alle Familienmitglieder in verschiedenen Töpfen bekocht werden mussten, die Speisen auf verschiedenen Feuerstellen zu garen waren und die Gemüse aus unterschiedlichen Gärten stammen mussten. Kurz: Viele Kinder wurden durch diese Verhaltensregeln zu einer derartigen Last, dass die Menschen von Yap ihre Lust freiwillig einschränkten.

Diese Beispiele für Selbstbeschränkung sind die Ausnahmen in der Menschheitsgeschichte. Traditionelle Gesellschaften kannten oft nur wenig Wachstum. Das war aber häufig nur deshalb der Fall, weil ihnen die Möglichkeiten dazu fehlten und der ökologische Rahmen enge Grenzen setzte. Besser war es, sich bis an die Grenzen des Möglichen zu vermehren, allein schon, um die regelmäßigen Krisen durch Hungersnöte, Krankheit und Parasiten zu überstehen. So haben unsere Vorfahren zahllose "Flaschenhälse der Evolution" überlebt, bei denen regionale Populationen massiv reduziert wurden oder sogar ausgestorben sind. Im Verlauf der letzten Eiszeit, die vor rund 110?000 Jahren begann, drangen die Gletscher bis weit über die Kontinente vor und raubten den Menschen vielerorts jede Überlebensmöglichkeit. Vor 1,2 Millionen Jahren ging die Bevölkerung des vormenschlichen Homo erectus vermutlich sogar auf 18?500 vermehrungsfähige Individuen zurück, sodass die Menschen nur um Haaresbreite dem Aussterben entkommen sind.

Doch immer wenn die Lebensbedingungen wieder günstiger wurden, gab es neue Wachstumsschübe, sonst hätten sich die Menschen nicht über die ganze Erde ausbreiten können. Als sie, von Asien her kommend, gegen Ende der letzten Eiszeit vor rund 15?000 Jahren das damals menschenleere Amerika besiedelten, breiteten sie sich binnen weniger Tausend Jahre bis ins heutige Chile am Ende von Südamerika aus. Sie kannten zwar noch keine "Wirtschaft" in unserem Sinne, aber die großen Tierbestände auf dem amerikanischen Kontinent boten den neu zugewanderten Jägern und Sammlern die wirtschaftliche Basis für das vergleichsweise rasche Wachstum.

Mehr Menschen - mehr Nachfrage - mehr Wohlstand

Wirkliche Wachstumsgesellschaften entstanden erst nach der Neolithischen Revolution, mit der Erfindung der Landwirtschaft. Erst dann konnten die Menschen sesshaft werden, Getreidespeicher anlegen, Handel betreiben, Städte bauen und materielle Güter anhäufen. Seither sind Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstum so eng miteinander verflochten, dass es Ökonomen gibt, die meinen, es müsse immer mehr Menschen geben, damit es uns immer besser geht. Weil das Bevölkerungswachstum damals aber nur schwach ausgeprägt war, gab es in vielen Weltregionen über lange Phasen überhaupt kein Wirtschaftswachstum. Tatsächlich ist der mittlere Lebensstandard der Weltbevölkerung erst besonders stark gewachsen, seit sich die Zahl der Menschen in der Folge der Industriellen Revolution massiv erhöht hat.

Manche Wirtschaftswissenschaftler wie der 1998 verstorbene amerikanische Ökonomieprofessor Julian Simon glaubten gar, diesen Trend in alle Ewigkeit extrapolieren zu können. Für Simon bedeuteten mehr Menschen immer auch mehr Nachfrage und damit größere Märkte. Je enger die Menschen zusammenlebten, desto günstiger würde die notwendige Infrastruktur, weil die Nutzungsquote von U-Bahnen, Schulen oder Krankenhäusern steige. Viele Konsumgüter wie Autos, Kühlschränke oder Laptops würden überhaupt erst erschwinglich, wenn sich eine Massenfertigung lohne. Auf diesem Weg würden zwar hin und wieder Ressourcen knapp, für die der Mensch aber stets einen Ersatz gefunden habe: Als das Elfenbein für die Billardkugeln ausging, fertigte er sie billiger und haltbarer aus Kunststoff. Generell wollte Simon keine Rohstoffprobleme erkennen, solange die ultimative Ressource - das menschliche Gehirn - durch das Bevölkerungswachstum immer größer werde.

Nun kann es bei allem Optimismus auf einem begrenzten Planeten kein dauerhaftes Bevölkerungswachstum geben. Irgendwann wird es eng und ungemütlich. Trotzdem sollte man es sich nicht zu leicht machen und Ökonomen wie Julian Simon einfach als verrückte Spinner abstempeln. Denn reduziert man den Wachstumsgedanken auf das rein Wirtschaftliche, finden wir uns mitten im ökonomischen Mainstream. Und dieser steuert die Welt.

Wachstum, so lernen es heute unsere Studenten der Volks- und Betriebswirtschaft auf den Universitäten, ist immanent notwendig, um den Wohlstand zu mehren, das Angebot an Gütern zu erhöhen und um gesellschaftliche Probleme zu bewältigen. Wachstum bedeutet mehr Arbeitsplätze, mehr Einkommen, mehr Steuereinnahmen, mit denen sich öffentliche Aufgaben erfüllen lassen. Es spült Abgaben in die Sozialkassen, mit denen Bedürftige versorgt werden können. Wachstum kann bei einer klugen Sozialpolitik sogar dafür sorgen, dass gesellschaftliche Ungleichheiten abgebaut werden.

Wie sollen die südeuropäischen Krisenstaaten die Geißel der Arbeitslosigkeit loswerden, wenn nicht eine wachsende Wirtschaft endlich wieder neue Jobs schafft? Wie soll die Bundesregierung die künftige Last an Renten- und Pensionszahlungen begleichen, die Versorgung von Kranken und Pflegebedürftigen sichern, wenn die Einnahmen nicht steigen - von der Schuldentilgung ganz zu schweigen? Wie soll sie ohne Wachstum Schulen und Universitäten finanzieren, die Energiewende stemmen, die Straßen instand halten, Polizisten, Soldaten und andere Staatsdiener bezahlen und Menschen ohne Jobs ein Existenzminimum sichern?

Doch nicht nur dafür ist Wachstum notwendig. Wachstum muss auch zwei weitere wesenhafte Merkmale unseres Wirtschaftslebens kompensieren: erstens die sinkenden Gewinn-margen der Unternehmen. Sie sinken, weil die Konkurrenz B dem Unternehmen A Marktanteile entreißen will und deshalb mit niedrigeren Preisen in den Wettbewerb zieht. Um die schrumpfenden Gewinnspannen auszugleichen, muss das Unternehmen A den Umsatz erhöhen, sprich: mehr vom Gleichen verkaufen oder neue Produkte entwickeln, die die Konkurrenz noch nicht zu liefern in der Lage ist. So entsteht rasch eine Überzahl an Gütern, die der Markt gar nicht aufnehmen kann. Also muss die Werbung helfen, die Waren dennoch unter die Leute zu bringen. Die Kosten dafür zehren zwar weiter an den Gewinnmargen, doch trotzdem muss immer mehr in Werbung investiert werden. In jedem in Deutschland verkauften Auto steckten beispielsweise 2011 im Schnitt 500 Euro an Werbeaufwand.

Auf diese Art erwächst ein beinharter Wettbewerb mit Kampfpreisen, Sommerschlussverkäufen, Geiz-ist-geil-Kampagnen oder Abwrackprämien, bei denen der Kunde oder die Kundin glaubt, ein Schnäppchen zu machen. In Wirklichkeit aber werden sie zum willenlosen Instrument des Wachstums, indem sie immer mehr Produkte kaufen, die sie eigentlich gar nicht brauchen.

Inhalt

INHALT

1 Älter, weiser, friedlicher und weniger 7

2 Mit Vollgas in die Zukunft 25

Warum Wachstum (noch) die Welt regiert

3 Es lebt sich gut im Overshoot 47

Wie Schuldenmachen das Ende des Wachstums hinauszögert

4 Die vierte Kränkung der Menschheit 71

Weshalb die Umweltbewegung die Umwelt nicht rettet

5 Normative Kräfte 109

Wie das Wachstum sich selbst ausbremst

6 Nicht mehr als zwei 141

Warum die Weltbevölkerung nach dem Wachstum mit dem Schrumpfen beginnt

7 Deutschland in der Pionierrolle 169

Wieso die Menschen zwischen Rügen und dem Bodensee mit einem Bein im Postwachstum stehen

8 Demografische Implosion 193

Wo der Bevölkerungsrückgang in die Sackgasse führt

9 Katastrophe oder weiche Landung? 217

Weshalb sich die Entwicklung der armen Länder nur über noch mehr Umweltschäden erkaufen lässt

10 Bald alt, aber noch nicht reich 239

Warum der demografische Wandel die Schwellen- und Entwicklungsländer mit Verzögerung erreicht - dafür aber umso heftiger

11 Demokratie ohne Wachstum? 269

Weshalb sich alternde und schrumpfende Gesellschaften neu erfinden müssen

12 Was tun? 293

Warum uns nur noch ein sehr geringer Handlungsspielraum bleibt, wir ihn aber dennoch nutzen müssen

Dank 315

Anmerkungen 317

Register 343

Schlagzeile

Schrumpfen mit System!

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